Montag, 26. November 2012

Wenn aus der Zweisamkeit ein Königreich wird

Um meinem ursprünglichen Vorhaben, auch über Familie und Kind zu bloggen, gerecht zu werden, möchte ich heute ein paar Gedanken zum Thema "Eltern werden" niederschreiben. 

Als wir damals schwanger wurden, waren sich all jene in unserem Umfeld, die bereits Kinder hatten, einig: Unser Leben wird sich um 180° drehen, nichts wird mehr sein, wie es ist, das Leben wie es war, ist endgültig vorbei. Eine schwierige Aussage. Natürlich gibt es keine Allgemeingültigkeit für die Art und Weise der Veränderungen, die mit der Geburt eines Kindes vor sich gehen, jeder erlebt das anders, abhängig vom eigenen Leben, Umfeld, Persönlichkeit und natürlich dem Charakter des Kindes. 
Mich hat es damals gleichermaßen in Angst wie in Aufregung versetzt, es war ein bisschen so, als wären wir ohne Steuermann in See gestochen. Obwohl das ja irgendwie stimmt und man als Eltern tatsächlich über die Jahre, durch Stürme und Flauten hindurch versucht, die Kontrolle über das Schiff zu bekommen, irgendeinen Kurs beizubehalten. Doch finde ich, dass man sich auf eine 180°-Wendung nicht einlassen und sie auch nicht erwarten darf. Wäre ich in der Position, werdende Eltern auf das, was auf sie zukommt, vorzubereiten, würde ich ihnen Folgendes sagen:


Versucht, den Babymodus einen Moment lang zu verlassen. Nehmt euch Zettel und Stift. Schreibt auf, was euch hier und jetzt abseits dessen, was im Mamabauch vorgeht, am allerwichtigsten ist: Personen, Aktivitäten mit und ohne Partner, Musik... Fünf Dinge, nur nicht übertreiben. Und "mehrwöchige Urlaube in der Provence" sollten nicht darunter sein. ;-)

Diese Zettel hebt ihr auf, bemalt sie bunt, pinnt sie euch an die Wand, rahmt sie ein, sie dürfen nicht in Vergessenheit geraden. Das sind die Dinge, die ihr braucht, um den Teil von euch am Leben zu erhalten, der es ermöglicht, rundum glücklich zu bleiben.

Und wenn euer Kind oder eure Kinder auf der Welt sind, findet einen Weg, jeden Tag etwas von diesem Zettel zu tun, und sei es nur eine halbe Stunde. Schaufelt euch gegenseitig Zeit frei, auch, wenn ihr manchmal denkt, dass ihr in der Zeit lieber den Haushalt machen könntet! Sofern ihr nicht "Putzen" auf eurem Zettel stehen habt, solltet ihr wirklich buchstäblich einen Dreck darauf geben: Ihr seid jetzt eine Familie, da darf es ruhig mal chaotisch aussehen. Und wenn es euch allzu sehr stört, ladet Familie oder Freunde ein, die wahlweise euer Lütt betreuen, während ihr saubermacht, oder saubermachen, während ihr euer Lütt betreut.

Während ihr etwas tut, das euch wahnsinnige Freude bereitet und ausnahmsweise mal nicht zwangsläufig etwas mit dem Kind zu tun hat, bleibt ihr in Verbindung mit euch selbst. Auch, wenn ihr es nicht immer merkt: Langfristig wird es wichtig sein, dass ihr nicht das Gefühl habt, nur noch Mama / Papa zu sein! 


Ja, das Leben ändert sich, wenn man den Dunstkreis um ein Persönchen erweitert. Fundamental. Brutal.  Eine Familie zu sein, dazu gehört für mich auch, aller Interessen zu berücksichtigen, sich füreinander Zeit zu nehmen, einen sauberen Schnitt und damit Platz für das Entstehen eines Familienalltags zu machen. Natürlich gibt es liebgewonnene Rituale, die sich problemlos integrieren lassen, aber man muss Willens sein, Gewohnheiten aufzugeben, die für das Familienleben problematisch sind. Wenn man bedenkt, was man dafür zurückbekommt, fällt das eigentlich auch ganz leicht.
Wir haben zum Beispiel in Pre-Baby-Zeiten immer gern und lange gefrühstückt, das Ganze zelebriert, manchmal einen Film dabei geschaut oder irgendeine Serie oder sogar was gezockt. Ja, es war komisch, plötzlich an freien Tagen keine Zeit mehr für ausgiebige Mahlzeiten zu haben. Aber während ich schon mit Eltern gesprochen habe, die es unheimlich genervt hat, solche Dinge nicht mehr tun zu können und die manchmal regelrecht sauer auf das Kind wirkten, haben wir das einfach angenommen und stattdessen halt ein Brötchen geschmiert und uns zu dritt auf eine große Decke auf den Wohnzimmerboden verzogen, das Würmchen beknutscht und vollgekrümelt und den Morgen auf diese Weise ausgedehnt.

Das Festhalten an alten Gewohnheiten ist vermutlich auch der Punkt, an dem viele Eltern mit dem Elternsein manchmal hadern. Ich kenne es selbst, besonders aus der Kleinstbabyzeit: Erst hat man kaum Zeit für sich, aber dann fällt einem irgendwann auf, was man alles vermisst und was man gern mal wieder machen würde. Deshalb finde ich es wichtig, vorher zu definieren, was einem wirklich wichtig ist und was einfach Gewohnheit geworden ist, denn Gewohnheiten lassen sich umstellen, aber die Seele profitiert vom Festhalten an liebgewonnenen Hobbies und Freunden.

Das erste Jahr war bei uns durch verschiedene Dinge ganz besonders hart, und während ich nicht mehr weiß, wie wir das alles durchgehalten haben, weiß ich noch sehr genau, welche Bücher ich damals gelesen und welche PC-Spiele ich gezockt habe. Der zweite Durchlauf von "A Song of Ice and Fire" war im August / September 2010: Vornehmlich nachts während des Stillens... der Kleine konnte in den ersten 3-4 Monaten nicht im Liegen gestillt werden, so dass ich es mir immer mit dem Stillkissen bequem machte und las, las, las. Und zocken, das ging super während seiner 3-4 Schläfchen am Tag: Kind ins Tragetuch (im Liegen schlafen ging aufgrund seiner Koliken kaum), Mama / Papa auf den Gymnastikball vor dem Rechner, Kopfhörer auf und zocken.
Im Oktober 2010 kaufte ich mir meine Kamera und begann mich mit Photographie zu beschäftigen, darin ging ich total auf. Ich genoss ganz besonders die wöchentlichen Besuche meines besten Freundes, die seltenen DVD-Abende mit meinem Mann (teilweise mit Kind im Tuch und zwei Kopfhörern mit Doppelstecker... :D), Tee und Kuchen mit Freundinnen, lange heiße Wannenbäder, Kuscheln mit meinem Liebsten. Während ich nicht mehr sagen kann, wann ich vor der Geburt unseres Sohnes was mit wem getan habe, weiß ich noch ganz genau, was nach seiner Geburt stattgefunden hat. Selbst eine halbstündige Einkaufstour zu DM (300m Fußweg waren das damals) war ein tolles Erlebnis. Sprich: Dinge, die vorher selbstverständlich waren, haben unheimlich an Bedeutung gewonnen. 

Dieser kleine Junge ist das phantastischste Wesen auf dieser Welt, und seine Mama zu sein ist immer wieder berauschend und wunderschön. Aber wenn ich eins gelernt habe, dann, dass jeder Mensch sich selbst braucht und seine dringlichsten Bedürfnisse ausleben muss, sonst kann er für seine Kinder nicht alles geben. 
Also lasst euch auf das neue Leben zu dritt (oder viert) ein, aber lasst Platz für euch - und vergesst nicht, dass euer Partner den genauso braucht!

Wie lief das bei euch? Wie sehr haben sich eure Erwartungen vor der Geburt vom Zustand nach der Geburt unterschieden? Habt ihr euch bewusst Zeit für euch und eure Hobbies genommen oder euch selbst ein bisschen vernachlässigt?